Predigt-Gedanken zum Weißen Sonntag von Pfr. Josef Scheiring

Liebe Gläubige!

Hier die Predigt-Gedanken von Pfr. Josef Scheiring zum Weißen Sonntag als Download und als Text:

2020-04-19-Pfr. Josef – Gedanken zum Weissen Sonntag A

Gedanken zum Weissen Sonntag 2020

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“  Es gibt sie, diese Blindheit nicht nur mit den Augen, sondern auch im Herzen. Einen Artikel genau zu diesem Thema  habe ich in der Zeitschrift „GEO“ gelesen, als ich wieder einmal länger auf meine Therapie warten musste.

Es kann nämlich  wahre Blindheit geben, sogar unter hochgebildeten Professoren. Hierzu gehört der australische Philosoph Peter Singer, der davon ausgeht, nur das sei wirklich, was man objektiv feststellen kann. In diesem Punkt ist er ganz mit dem sogenannten „ungläubigen Thomas“ einig. Daraus hat er aber eine erschreckende moralische Konsequenz gezogen: Gefragt, was eine Person ausmacht, beruft er sich auf objektiv feststellbare Merkmale wie Selbstbewusstsein, Selbstkontrolle, Sinn für Vergangenheit und Zukunft und die Fähigkeit, mit anderen Personen zu kommunizieren. Wer darüber verfügt, der ist in den Augen von Singer eine Person, wer darüber nicht verfügt, der ist keine Person. Also wäre zum Beispiel ein Schimpanse eine Person, nicht aber ein Embryo, nicht ein Säugling und auch nicht ein geistig schwer Behinderter. Genau das vertritt Peter Singer seit Jahren schon und hat darüber hinaus gemeint, dass Wesen, die keine Personen sind, nur ein eingeschränktes Lebensrecht besitzen. So hat er den empörenden Satz geschrieben: „Das Leben eines neugeborenen Kindes ist weniger wert als das eines ausgewachsenen Schweins.“ Solche Behauptungen hat er anscheinend auch auf Kongressen aufgestellt .

Aber dann geschah etwas, das dem Erlebnis des Thomas an Ostern vergleichbar ist. Seine Mutter erkrankte an Alzheimer, sie wurde dement. Nach Singers eigener Definition war sie nun keine Person mehr. Dennoch organisierte er einen Pflegedienst, der 24 Stunden für seine Mutter bereit stand. Als man ihn auf den Widerspruch zu seiner Theorie ansprach, bekannte Singer in einem Interview: „Ich denke, dass diese Sache mir die Augen dafür geöffnet hat, dass diese Dinge sich für Menschen als sehr schwierig darstellen, die von diesen Problemen betroffen sind. Vielleicht ist es schwieriger, als ich früher dachte, weil es etwas anderes ist, wenn es sich um deine eigene Mutter handelt.“

Selig, die nicht sehen und doch glauben.
„Die unglaublichste Geschichte der Welt. Nichts klingt unwahrscheinlicher als die Auferstehung Jesu. Warum feiern Milliarden Christen trotzdem Ostern?“ Für einen Biomediziner eine ganz klare Antwort, Leib und Seele striktest getrennt.

Dieselbe Reaktion habe ich aber auch in unserem SR schon gehört und nicht gerade von kirchenfernen Leuten. »Tot ist tot« wird da formuliert, und ganz praktisch wird dann überlegt, wie das denn gehen soll, dass einer wieder aus dem Grab steigt, der nachweislich tot war.
Die Episode mit dem Apostel Thomas ist also richtig modern und aktuell und seine Forderung ist völlig nachvollziehbar für vernünftige Menschen: »Ich glaube erst, wenn ich sehe. Ich glaube erst, wenn ich mit meinen Händen greife, spüre, begreife. Ihr könnt mir erzählen, was ihr wollt. Wo sind die Beweise, messbar, kontrollierbar, wiederholbar? Dann, ja dann glaube ich.«
Sind Menschen, die sonntags in die Heilige Messe gehen, zweifellos gläubig? Oder gibt es auch bei denen eine solche kleine Zweifelecke, in der der Verstand vernehmlich Einspruch erhebt und diese Sache mit der Auferstehung in Frage stellt?

Darf man das denn, zweifeln- als Christ? Da klingen dann so Sätze aus dem Evangelium im Ohr: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“ oder: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“.

 

Alle, die an der Auferstehung zweifeln, sind  in guter Gesellschaft. Schon in den Evangelien scheint es die angemessene und natürliche Reaktion auf die Osterbotschaft zu sein. In der Osternacht haben wir die Reaktion der Jünger auf die frohe Botschaft der Frauen gehört: »Die Apostel hielten das alles für Geschwätz und glaubten ihnen nicht.« Die Jünger zweifeln die Aussage der Frauen an, nicht nur weil Frauen als Zeugen einfach unglaubwürdig waren, sondern auch, weil diese ganze Sache mit der Auferstehung so unglaublich war. Wo gibt es das denn, dass ein zu Tode Gemarterter wieder aufsteht? Auch die Sätze des Thomas zeigen, dass da sein Zweifel wohnt. Er will den Gekreuzigten, er will den von Wundmalen Gezeichneten sehen. Thomas stellt sich diese Auferstehung, von der seine Freunde sprechen, quasi als eine Belebung des Leichnams vor.

Es lohnt sich, bei dieser Geschichte genau hinzuhören. Jesus tritt in ihre Mitte, die Türen sind verschlossen. Es ist deutlich: Da passiert etwas, das eigentlich nicht geht. Kein Mensch kann durch verschlossene Türen gehen. Und dieser Jesus geht offensichtlich auf die Bedingungen des Thomas ein. Mit den Händen soll er ihn berühren. Und was tut Thomas? Es gibt verschiedene Gemälde, in denen diese Szene dargestellt ist. Gezeigt wird Thomas, wie er Jesus berührt. Aber: Der Evangelist Johannes beschreibt das nicht. Da ist eine Leerstelle in der Geschichte.

Die Leerstelle – da passiert es, da wird Thomas im Innersten angerührt, bricht es aus ihm heraus: „Mein Herr und mein Gott!“ Wie ist das geschehen?
Ich habe in meinem Theologiestudium bei den Jesuiten gelernt, dass da wohl keine Berührung stattfand im Sinne von betasten, anfassen, überprüfen. Nach deren Meinung fand offensichtlich die Berührung auf einer anderen Ebene statt. Etwas muss da geschehen sein, etwas, das nicht mit Händen zu greifen ist, im Innern, im Herzen und Thomas kann dadurch dieses große Glaubensbekenntnis sprechen: „Mein Herr und mein Gott!“ Da findet einer zum Glauben, ist angerührt vom Göttlichen und ergriffen, erschüttert und vollkommen überzeugt mit jeder Faser seiner Existenz.

Und was tun wir jetzt mit dieser Geschichte? Was tun, wenn dieser Sprung in den Glauben nicht geschieht, nicht gelingt? Was tun, wenn da nichts ist, was so wie bei Thomas diese große innere Gewissheit herstellt?
Darf ich mit euch ein wenig weiterdenken?

Es war wichtig, dass da Männer und Frauen waren, die schon an den Auferstandenen glaubten. In dieser Glaubensgemeinschaft konnte Thomas finden, wonach er suchte. In Zeiten des Zweifelns und der Fragen ist es gut, trotz allem festzuhalten an der guten Gewohnheit des Kirchgangs, an gut eingeübten (für manche vielleicht als überkommen abgetan) Ausdrucksformen des Glaubens. Die sonntägliche Versammlung der Gemeinde im Gottesdienst ist wichtig. Wenn wir hoffentlich in absehbarer Zeit beisammensein, wieder feiern dürfen in physischer Gemeinschaft,von Angesicht zu Angesicht, möge uns daraus Kraft fürs Leben erwachsen. Da ist Treue gefragt und Durchhaltevermögen.

Lb Freunde!

In den Tagen der Quarantäne habe ich eine Freundin gefunden, die mir sehr lieb und teuer geworden ist. Und ich verrate euch auch ihren Namen: Sie heisst: Erinnerung. Ich erinnere mich an Tage des  üppigen Feierns der Karwoche in den letzten Jahren mit so vielen lieben Menschen, an Begegnungen, die mir den quasi den Himmel öffneten. Obwohl es zur Zeit so viele Möglichkeiten gibt wie noch nie, mit vielen Menschen, wenn auch nicht physisch, zu feiern in virtuellen Gottesdiensten, mit Andachten und täglichen Whatsappgedanken, kommen diese Erinnerungen bei mir immer wieder hoch.

 

Wie oft habe ich bei Hochzeiten den Paaren „gepredigt“: Wenn einmal Wolken auf eurem jetzt so klaren Himmel aufziehen, wenn mal Stürme toben in eurer Beziehung, wenns schwer wird miteinander zu reden, dann erinnert euch an diesen Tag , den ihr jetzt feiert, zurück.

Im Film „König der Löwen“ fragt der erwachsene Simba seinen verstorbenen Vater, der im „Himmel der alten Könige“ wohnt , was er denn jetzt tun solle und der Vater antwortet: „Erinnere dich!“

Ja, meine Lieben, aus der Erinnerung Kraft für die Gegenwart schöpfen, um mit neuem Elan der Zukunft entgegengehen, das wünsche ich mir, dir, uns allen.

Möge der Auferstandene in allen Zweifeln des Lebens bei uns sein. Amen.

Pfarrer Josef Scheiring